Patienten mit einem Schlaganfall mit nicht bestimmter Emboliequelle (embolic stroke of undetermined source, ESUS, s. Kasten) mit Hinweisen auf eine atriale Kardiopathie profitieren von einer oralen Antikoagulation mit Apixaban nicht stärker als von der Standardtherapie mit Acetylsalicylsäure. Das zeigen die in JAMA publizierten Ergebnisse der ARCADIA-Studie [1].
Bei Patienten mit ätiologisch ungeklärtem Schlaganfall – sogenannter „kryptogener“ Schlaganfall – wird im Verlauf häufig erstmalig ein intermittierend bestehendes Vorhofflimmern nachgewiesen. Der Anteil liegt bei circa 30% über einen Zeitraum von 3 Jahren, sofern ein intensiviertes Screening erfolgt. Patienten mit kryptogenem Schlaganfall, die eine standardisierte (basale) diagnostische Abklärung erhalten haben, werden als ESUS bezeichnet, sofern keine konkurrierenden Schlaganfallursachen nachgewiesen wurden.
Ob ESUS-Patienten von einer oralen Antikoagulation in der Sekundärprävention profitieren, wurde im Vergleich zu Acetylsalicylsäure (ASS) in den randomisierten Studien NAVIGATE ESUS und RE-SPECT ESUS untersucht, die keinen Vorteil für Rivaroxaban bzw. Dabigatran in der Gesamtkohorte zeigen konnten.
„Nach ischämischem Schlaganfall ist der Nutzen einer oralen Antikoagulation für die Sekundärprävention des Schlaganfalls bei nachgewiesenem Vorhofflimmern belegt“, erklärt Prof. Dr. Karl Georg Häusler, Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. „Nach einem ESUS erhalten die Patienten dagegen aufgrund der aktuellen Datenlage standardmäßig Acetylsalicylsäure.“
Optimierte Sekundärprävention bei Hinweisen auf eine atriale Kardiopathie
In einer retrospektiven Analyse der Daten der NAVIGATE-ESUS-Studie ergab sich jedoch der Hinweis, dass ESUS-Patienten mit einer atrialen Kardiopathie von einer oralen Antikoagulation profitieren könnten. „In der ARCADIA-Studie wurde daher der pragmatische Ansatz verfolgt, Patienten mit ESUS und Hinweisen für eine atriale Kardiopathie einzuschließen“, fasst Häusler die Rationale der Studie zusammen.
In die doppelblinde Phase-3-Studie wurden an 185 Zentren in den USA und Kanada letztendlich 1.015 Patientinnen und Patienten mit ESUS aufgenommen, die eines der folgenden Kriterien für eine atriale Kardiopathie erfüllen mussten:
negativer Anteil der P-Welle (> 5000 μV × ms) im V1 im EKG,
NT-proBNP-Wert im Serum > 250 pg/ml,
linksatrialer Durchmesser-Index gemäß Herz-Echo vergrößert (≥ 3 cm/m2).
Die Patienten erhielten randomisiert entweder eine orale Antikoagulation mit Apixaban in der für die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern zugelassenen Dosierung von 5 mg bzw. 2,5 mg zweimal täglich oder Acetylsalicylsäure (einmal täglich 81 mg Acetylsalicylsäure). Wurde im Laufe der Studie ein Vorhofflimmern nachgewiesen, was bei etwa 15% aller Studienpatienten der Fall war, erfolgte eine weitere Schlaganfallprävention mittels Apixaban.
Vorzeitiger Studienabbruch wegen vergleichbarer Schlaganfall-Rezidivraten
Nach einer geplanten Interimsanalyse wurde die ARCADIA-Studie vorzeitig beendet. Die Schlaganfall-Rezidivrate war in beiden Gruppen nach im Schnitt 1,8 Jahren Nachverfolgung gleich: 4,4% pro Jahr in der Apixaban-Gruppe und 4,4% pro Jahr in der Acetylsalicylsäure-Gruppe.
Hirnblutungen entwickelte in der Apixaban-Gruppe kein Patient, in der Acetylsalicylsäure-Gruppe waren davon 7 Patienten betroffen, was jedoch nicht statistisch signifikant war. Andere schwere Blutungskomplikationen traten in beiden Gruppen gleich häufig auf (bei jeweils 5 Patienten).
Die Autorengruppe um Dr. Hooman Kamel vom Department of Neurology der Weill Cornell Medicine in New York, USA schlussfolgern in JAMA, dass bei Patienten mit ESUS und Hinweisen auf eine atriale Kardiopathie ohne bekanntes Vorhofflimmern Apixaban das Schlaganfall-Rezidivrisiko nicht besser senkt als Acetylsalicylsäure.
Pathophysiologische Relevanz der atrialen Kardiopathie für den Schlaganfall bleibt offen
Für Häusler ist eine pathophysiologische Relevanz der atrialen Kardiopathie aufgrund der Studienergebnisse nicht abschließend beurteilbar. „Möglicherweise waren die in der ARCADIA-Studie gewählten Einschlusskriterien, die hinweisend für eine atriale Kardiopathie sein sollten, nicht spezifisch genug“, so der Schlaganfallspezialist.
Möglicherweise waren die in der ARCADIA-Studie gewählten Einschlusskriterien, die hinweisend für eine atriale Kardiopathie sein sollten, nicht spezifisch genug. Prof. Dr. Karl Georg Häusler
Der Blutmarker NT-proBNP sei zum Beispiel auch bei einer Herzinsuffizienz deutlich erhöht. Weitere relevante Punkte sind nach Ansicht von Häusler der sehr niedrige Schlaganfall-Schweregrad der überwiegenden Mehrzahl der erfassten Patienten, die Tatsache, dass die Randomisierung für die Studienmedikation im Mittel erst 50 Tage nach dem Auftreten des ESUS stattfand und dass vergleichsweise viele Studienpatienten die Studie vorzeitig beendeten.
Sein Fazit für die klinische Praxis: „ESUS-Patienten sollten, solange kein Vorhofflimmern nachgewiesen ist, mit Acetylsalicylsäure zur Schlaganfallprävention behandelt und nicht oral antikoaguliert werden.“
ESUS-Patienten sollten, solange kein Vorhofflimmern nachgewiesen ist, mit Acetylsalicylsäure zur Schlaganfallprävention behandelt und nicht oral antikoaguliert werden. Prof. Dr. Karl Georg Häusler
Verlängertes EKG-Monitoring
„Bei Hinweis auf eine atriale Kardiopathie sollte aus meiner Sicht ein verlängertes EKG-Monitoring erfolgen“, ergänzt Häusler. Es wurde anhand von randomisierten Studien wiederholt gezeigt, dass ein verlängertes EKG-Monitoring die Detektionsrate von Vorhofflimmern bei Patienten mit kryptogenem Schlaganfall erhöhen kann. „Dass durch eine konsekutive orale Antikoagulation auch Schlaganfallrezidive verhindert werden, konnte bislang jedoch noch nicht anhand einer randomisierten Studie belegt werden“, so Häusler.
Bei Hinweis auf eine atriale Kardiopathie sollte aus meiner Sicht ein verlängertes EKG-Monitoring erfolgen. Prof. Dr. Karl Georg Häusler
Konkrete Vorgaben, wie lange ein solches EKG-Monitoring bestmöglich dauern sollte, gibt es bislang noch nicht anhand von Studiendaten, so dass die Behandler eine individualisierte Entscheidung treffen müssen.
Ein Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft Herz und Hirn der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) empfiehlt ein Basis-EKG-Monitoring nach ischämischem Schlaganfall für in Summe 72 Stunden, um bei bis dato fehlendem Nachweis eines Vorhofflimmerns anhand spezifischer echokardiografischer, elektrokardiografischer, laborchemischer oder bildgebender Kriterien über die Notwendigkeit eines weiteren EKG-Monitorings zu entscheiden.
Die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls empfehlen ein „in der Regel mehrtägiges EKG-Monitoring“.
Ätiologie des ischämischen Schlaganfalls
Ischämische Schlaganfälle machen etwa 85% aller Schlaganfälle aus. Mögliche Ursachen eines ischämischen Schlaganfalls sind heterogen. Häufige Ursachen sind:
eine kardiale Embolie bei Vorhofflimmern (etwa 15-20%),
eine Atherosklerose (etwa 20-25%) der hirnversorgenden Gefäße oder
eine zerebrale Mikroangiopathie (etwa 20%).
Bei 20-25% aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall kann die mutmaßliche Ursache nicht sicher geklärt werden. Sie werden daher als kryptogene Schlaganfälle bezeichnet.
Von einem kryptogenen Schlaganfall spricht man allerdings auch, wenn konkurrierende Ursachen vorliegen – etwa ein Vorhofflimmern und eine Atherosklerose – und wenn die regelhaft stationär durchgeführte Standarddiagnostik nicht vollständig erfolgte.
Vor etwa 10 Jahren wurde das Konzept des embolic stroke of undetermined source (ESUS), sinngemäß „embolisch anmutender Schlaganfall mit nicht bestimmter Emboliequelle“, eingeführt, aus dem die beiden letztgenannten Patientengruppen mit kryptogenem Schlaganfall ausgeklammert sind.
Die im ESUS-Konzept definierte Standarddiagnostik des ischämischen Schlaganfalls umfasst neben der zerebralen Bildgebung eine Echokardiografie, eine Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Arterien und ein EKG-Monitoring über 24 Stunden.
Nicht als ESUS definiert wurden lakunäre Schlaganfälle gemäß der zerebralen Bildgebung, Schlaganfälle bei vorgeschalten zumindest mittelgradigen Gefäßstenosen oder einer gesicherten kardialen Emboliequelle. Zudem dürfen im Langzeit-EKG keine Vorhofflimmer-Episoden dokumentiert sein, die länger als 6 Minuten angehalten haben.
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